Segeln mit Akka

Biskaya...

...Bay of Biscay, Golfe de Gascogne oder Golfo de Vizcaya, wie auch immer man diesen Teil des Atlantiks nennen mag - der Ruf der Biskaya ist nicht besonders gut unter Seefahrern. Für nordeuropäische Segler, die in den Süden wollen (das bin ich!), ist dieser Abschnitt die erste wirkliche Ozeanstrecke. Ich möchte den Ärmelkanal nicht kleinreden, der doch anspruchsvoll war, aber vor der Biskaya habe ich einen besondern Respekt. Als Einhandsegler ist die Herausforderung, daß man für mehrere Tage durchgehend fit genug sein muß, um auf alles reagieren zu können, was die See, das Wetter, die Technik und nicht zuletzt man selbst an Problemen bereitstellen.
Von Camaret aus liegt die Entfernung nach Muxía, dem Hafen, den ich gerne ansteuern würde, bei 374 Meilen, nach Cerdeira, einer guten Möglichkeit, etwas abzukürzen, noch bei rund 330 NM. Bei Akka kann ich mit etwas über vier Knoten rechnen, im allerbesten Fall vielleicht fünf. Das heißt, realistisch gerechnet bin ich mindestens drei Tage unterwegs. Das stellt keine besonderen Anforderungen an den Proviant und Wasser, aber weil durchaus mit Seekrankheit zu rechnen ist, rät N. mir, möglichst fertige Gerichte einzupacken, die keiner weiteren Vorbereitung bedürfen. An großartige Kochaktionen ist auf Akka ohnehin nicht zu denken, aber auch 15 Minuten konzentriert unter Deck etwas zu kochen, ist schon sehr anstrengend und kann dazu führen, daß man das Essen hinterher nicht mehr genießen kann...
Anfang der letzten Augustwoche sieht das anvisierte Wetterfenster noch so aus, daß eine Abfahrt Donnerstag oder Freitag möglich wäre, allerdings kommt am Montagfrüh bereits die nächste Front aus Westen, sodaß es etwas knapp erscheint. Ich stelle mich also auf etwas längeres Warten ein und besuche am Dienstag noch die Île de Ouessant. Am Mittwoch gibt es erst noch etwas Arbeit zu tun, und am Mittag schaue ich das erstemal wieder ins Wetter. Und nach etwas Rechnen stellt sich heraus: Heute Abend muß es losgehen! Hochwasser in Brest ist um 2 Uhr morgens, das bedeutet, ich muß gegen 21 Uhr los, um bei beginnendem Strom aus Nord an der Chaussée de Sein zu sein, dem letzten Riff, das aus Frankreich herausragt. Ich habe also noch Zeit, einzukaufen, Wasser aufzufüllen und unter Deck alles bereit zu machen. Die Passatsegel ziehe ich auch noch auf, denn die Wettervorhersage sagt Wind aus Nord bis Nordost voraus. Ich werde also weitestgehend vor dem Wind fahren können. Es soll aber erst mit wenig Wind anfangen und am Samstagabend auch wieder abflauen, deswegen habe ich mich gut mit Benzin versorgt. Theoretisch sollte ich 200 NM allein mit Motor fahren können, möchte es aber tunlichst vermeiden und am liebsten möglichst viel Reserven bis zum Schluß aufbewahren.
Es bleibt gar nicht mehr viel Zeit, allen bescheid zu sagen, daß es losgeht und sich niemand wundern muß, wenn ich ein paar Tage nicht erreichbar bin. Kurz nach acht werfe ich dann die Leinen los, denn ich denke mir, jede Stunde früher hilft, um vor der Front am Montagmorgen in Spanien zu sein. Nach zwei Wochen ist es schon etwas komisch, sich wieder zu bewegen und den Hafen, an den ich mich so gewöhnt habe, zu verlassen. Aber die große Aufgabe steht bevor, deswegen verliere ich nicht allzuviele Gedanken daran.
IMG_20240828_203034_Camaret Abschied Ein mulmiges Gefühl habe ich dabei, als die Pointe de Toulinguet langsam zurückbleibt und voraus nur noch ein paar Felsen sind, die ich umrunden muß. Die Felsen des nächsten und letzten Riffs sind noch nicht in Sicht.
IMG_20240828_205344_Pte de Toulinguet Sie werden auch im Dunkeln bleiben, denn Sonnenuntergang ist jetzt schon vor halb zehn. Erstmal ist etwas Motorsegeln angesagt, denn der Nordwind, der mich vorher noch motiviert hat, ist inzwischen weniger geworden. Bald schläft er ganz ein und ich rolle die Passatsegel weg. Das Groß bleibt noch stehen, um im Schwell und der konfusen See um die Riffs etwas zu stützen. Sobald die Sonne weg ist, gehen an der Küste und weiter draußen auf See die Leuchtfeuer an. Das der Île de Seine ist schon zu sehen - es hat eine Reichweite von über 20 NM. Mein Ziel ist die letzte Kardinalstonne "Chaussée de Sein", die erst nach ein paar Stunden auftaucht. Der elektrische Autopilot übernimmt das Steuern. Es sind nicht viele Wolken am Himmel, deswegen erscheint der Sternenhimmel in voller Pracht. Wenn man so lange Zeit unter freiem Himmel sitzt, kann man im Laufe der Zeit zusehen, wie die Sterne sich um Polaris zu drehen scheinen. Neue tauchen auf und alte gehen unter - mit etwas Erfahrung sollte es nicht sehr schwer fallen, auf dem Meer danach zu navigieren (sofern klares Wetter ist!).
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Gegen 3 Uhr morgens ist die Tonne erreicht und der neue Sollkurs ist 213° rechtweisend. 330 NM bis zum nächsten Wegpunkt sagt der Kartenplotter. Das ist mehr als ich in dem Feld bisher gesehen habe. Wesentlich mehr. Die Anzeige "TTG", also time-to-go, schwankt zwischen drei und vier Tagen, je nachdem was für eine Grundgeschwindigkeit gemessen wird. Den Motor habe ich so eingestellt, daß er etwas über vier Knoten erzeugt. So ist die Reichweite am besten. Zwischendurch wird der kleine Kanister in den Tank umgefüllt. Der Verbrauch scheint geringer zu sein als erwartet - ein gutes Zeichen. Dennoch ist es nicht sehr beruhigend, so ohne Wind und mit Sprit, der niemals für die ganze Strecke reicht, ins Blaue zu fahren.
Genügend Zeit, um zu zweifeln, hat man auch. Die Menge an Fragen, die man sich stellen kann, ob auch an alles gedacht ist, ist schier endlos. Dazu kommt die leichte Seekrankheit, die sich auch bei relativ ruher See immer die ersten Tage einstellt, die verhindert, daß man sich durch Lesen oder andere Aktivitäten ablenken kann. Erst nachdem die letzte Tonne achteraus liegt, lege ich mich das erstmal in die Koje, denn jetzt ist ja zumindest kein Hindernis mehr voraus.
Den Ausguck übernehmen mein Radarwarner, der einfallende Radarstrahlen von anderen Schiffen erkennt und mich weckt, sowie mein AIS, das andere Schiffe erkennt und mit einem einstellbaren, sehr großzügigen Vorlauf warnt, wenn eines in die Nähe kommt. Das habe ich natürlich vorher ausgiebig getestet. Trotzdem stelle ich einen Wecker alle 30 Minuten, um einen Blick rundum zu halten. Ganz vereinzelt gibt es noch Segler, die ohne AIS unterwegs sind. Allerdings ist die Anzahl der Segler generell auf der Biskaya gemessen an ihrer Größe eher gering. Für das IJsselmeer eignet sich diese Methode nicht.
In der ersten Nacht ist an Schlaf eh nicht zu denken, deswegen bin ich öfter draußen als der Wecker es verlangt. Um halb vier kommt etwas Wind auf und tatsächlich kann ich mit annähernd 4 kts segeln. Leider hält die Freude nicht lange und um fünf läuft der kleine Tohatsu wieder. Um halb sieben ist zumindest wieder eine Stunde segeln drin, aber danach bleibt der Motor erstmal an. Bald geht die Sonne auf und ich mache mein erstes Frühstück auf See. Müsli in einem Becher und eine Banane sind eine sichere Mahlzeit, ohne daß viel Sauerei passieren kann. Danach ist nichts weiter zu tun außer Logbuch zu führen und auf Wind zu warten. Und zu zweifeln ob dieser jemals kommt. Und ob der Sprit am Ende reichen wird.
Die GPS-Geschwindkeit variiert über die Stunden trotz gleicher Motoreinstellung etwas - es scheint doch eine Art Gezeitenströmung in der Biskaya zu geben. Es dauert bis kurz vor fünf am Nachmittag, aber dann ist der Wind sicher da und wird mehr. Zuerst wird das Groß noch mit Bullenstander versehen und etwas getrimmt, bis mit dem zweiten Reff und den beiden Passatsegeln ausgebaumt übereinander eine gute Einstellung gefunden ist. Jetzt übernimmt auch der Windpilot das Steuern. Es ist eine Offenbarung der Stille, als Motor und Autopilot endlich aus sind und es trotzdem anständig vorwärts geht. Der elektrische Autopilot hat auch einen nicht zu vernachlässigenden Verbrauch, deswegen bin ich doch etwas auf den Windpiloten angewiesen. Ich bin sehr erleichtert, daß er seine Sache trotz der Wellen so gut macht.
Vor dem zweiten Sonnenuntergang der Reise nehme ich das Groß weg, damit ich das im Zweifel nicht mitten in der Nacht machen muß, sollte der Wind stärker werden. Ich treffe den Fischer "Corvo", der aber in einiger Distanz meinen Kurs kreuzt und offenbar auf dem Weg nach Hause ist.
IMG_20240829_205319_Sonnenuntergang 2 Der Windpilot macht auch in der Nacht eine hervorragende Arbeit. Der Wind dreht ganz leicht, sodaß wir etwa zehn Grad nach Westen vom Kurs abweichen, aber ich möchte im Dunkeln nicht auf dem Vorschiff mit dem Baum arbeiten und die Vorsegeln schiften, deswegen bleibt es dabei. Die Schiffahrtstrecke ist weit genug weg und ich habe genug Zeit, das später zu korrigieren. Die Sterne sind wieder phänomenal. Und da ich eh nicht richtig schlafen kann, setze ich mich zeitweise ins Cockpit und sehe der Show ein bißchen zu. Sternschnuppen sind auch einige zu sehen. In der Morgendämmerung des dritten Tags auf See nehme ich den Baum weg und reffe die Vorsegel etwas, weil der Wind auffrischt. Etwa 5 Bft sind angesagt und das scheint auch hinzukommen. Akka macht ordentlich Fahrt, und der Windpilot steuert astrein.
IMG_20240830_093256_Passatsegel

Mittags sind im Osten Walfontänen zu sehen, aber Wale selbst bekomme ich keine zu Gesicht. Die iberischen Orcas treiben sich hier eigentlich nicht rum. Auf die hätte ich auch keine Lust. Vermutlich sind es andere. Die Wellen werden zeitweise unangenehm, als der alte Schwell aus West durch die sich aufbauende Windsee aus Nord bis Nordost ersetzt wird. Immerhin ist ein anständiger Teil der Reise inzwischen geschafft.
IMG_20240830_093308_Plotter Biskaya Am späten Nachmittag gibt es plötzlich einen Knall und Akka dreht langsam in den Wind. Ich bin gerade im Cockpit und kann schnell eingreifen und den elektrischen Piloten steuern lassen. Die Ursache ich bald gefunden: Ein Steuerseil des Windpiloten war, wohl schon vor einem Tag, von der Seilrolle gesprungen und hatte sich an der Achse der Rolle durchgescheuert. Die Kräfte sind nicht ganz klein, deswegen ist es kein Wunder. Zum Glück kann ich das Seil schnell knoten und so funktioniert der Windpilot nach fünf Minuten wieder wie zuvor. Ich nehme in meine regelmäßigen Checks auch die Kontrolle der Seile mit auf. Wenn der Windpilot mich hier im Stich lassen würde, wäre es eine sehr anstrengende Strecke bis zur Küste. IMG_20240830_093531_Mr Vee Gegen Abend läßt der Wind zeitweise, wie vorhergesagt etwas nach. Das ist ganz angenehm so, denn dann werden die Wellen auch etwas kleiner. Sie sind inzwischen aber auch gut organisiert und laufen ungefähr vor dem Wind. So fahren wir in die dritte Nacht...
IMG_20240830_210811_Sonnenuntergang 3 Inzwischen vertraue ich dem Windpiloten und bin langsam zuversichtlich, daß ich vor der Front und mit genügend Sprit in Spanien ankommen werde. Ich bin auch müde genug, sodaß ich in der dritten Nacht endlich nennenswerten Schlaf bekomme. Ich schaue regelmäßig nach Schiffen, sehe zwischendurch mal ein Kreuzfahrtschiff mit seinem riesigen Lichtschein schon lange bevor es von hinter dem Horizont auftaucht, und lege mich aber gleich wieder schlafen. Am nächsten Morgen bin ich tatsächlich frischer als bisher auf der Reise und die Stimmung ist wesentlich besser! Ich rechne etwas, und da ich nicht scharf auf eine komplette weitere Nacht vor der Küste bin, wo mit etwas Verkehr zu rechnen ist, ändere ich mein Ziel auf Cedeira. Das bedeutet einen etwas südlicheren Kurs, verkürzt die Strecke aber um rund 50 NM.
Ich hoffe, die hohen Berge der Rías Altas noch vor dem Abend zu sehen. Aber der Wind wird wie vorhergesagt schwächer, und es ziehen auch Wolken auf, die die Berge verdecken. Am Nachmittag, noch weit vor der 12-Meilen-Grenze, aber schon an der Kante des Kontinentalschelfs, definiere ich, daß ich nun eher in Spanien als in Frankreich bin und wechsle die Gastlandflagge aus.
IMG_20240831_155002_Spanische Flagge Der Wind läßt nach, die Ungeduld wächst. Deswegen muß irgendwann der Motor wieder ran. Es sind noch rund acht Stunden bis Cedeira, aber es hilft nichts, sonst wird es Morgen bis ich da bin. Irgendwann muß die Seekrankheit endlich überwunden worden sein, denn das Geschaukel macht mir überhaupt nichts mehr aus. Das hebt die Stimmung und da ich nicht steuern muß und kein Verkehr ist, machen mir auch die einzelnen Schauer nichts aus, die aufziehen. Ich kann mich ja in den Salon setzen und sogar etwas lesen!
Mit den Wolken, leichtem Nieselregen und sogar vereinzeltem Nebel wird die Anfahrt der Küste interessant. Ich mache mir zwar keine Sorgen, mit GPS den Weg zu finden, aber die Leuchtfeuer sind immer noch eine wichtige Hilfe. Sie werden hier schon etwas früher eingeschaltet als in Frankreich. Durch die Wolken werden sie aber immer wieder abgedeckt und die Identifikation der Kennungen ist auf die Entfernung recht schwer.
Kurz vor Mitternacht kommt ein Schwarm Delfine vorbei und treibt sich eine ganze Weile um Akka herum. Diese Gruppe schlägt wilde Haken und ist insgesamt deutlich schneller unterwegs als die anderen bisher. Ich überlege schon, ob sie vielleicht jagen, oder den Orcas, die hier gerade ihr Unwesen treiben sollen, ausweichen, aber Orcas sehe ich zum Glück keine!
Die Anfahrt und Einfahrt in die Ría de Cedeira klappt zum Glück problemlos, ist aber sehr spannend. Immer wieder ziehen recht dichte Nebelbänke vorbei, die verschiedene Lichter abdecken und neu erscheinen lassen. Immerhin ist der Schein der Stadt recht gut zu sehen und so kann ich auch die umliegenden Berge gut erkennen. Felsen sind hier erst sehr nah am Ufer also besteht keine Gefahr, solange ich mich in der Mitte halte. Das Sektorfeuer, das meiner Meinung nach nicht die Kennung besitzt, die in der Karte steht, führt mich bis an die Mole des Hafens heran und ich muß nur noch links abbiegen und finde mich in der Bucht vor der Stadt wieder.
Es ist nicht ganz einfach, die vor Anker liegenden Boote zu erkennen, denn die meisten Segler haben ihr Ankerlicht am Masttopp. Aus meiner Perspektive liegen sie damit vor den Lichtern der Stadt und die Rümpfe, denen ich ja ausweichen möchte, sind nur als schwarze Schatten kaum zu erkennen. Ich finde aber irgendwie einen Platz auf ca. 6 m Wassertiefe und lasse endlich, nach drei Tagen, sechs Stunden und 336 NM den Anker fallen. Es ist 2:12 am Sonntagmorgen und der meteorologische Herbst ist schon ein paar Stunden alt.
IMG_20240901_021253_Ankunft In der Stadt scheint noch ein großes Fest zu sein - die ganze Bucht ist erfüllt von der Musik. Vom Schlafen hält mich das aber kaum ab und nachdem ich klarschiff gemacht habe, klettere ich endlich in die Koje und kann ganz ohne Warnsysteme, Wecker und Ungewißheit den fehlenden Schlaf nachholen.
Der nächste Morgen begrüßt mich mit Stille und Sonnenschein in einer wunderschönen Bucht in Galizien. Doch davon ein andermal mehr...
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